Erinnerung an einen Putsch, ein Gespräch mit einem Gouverneur und eine brennende Seele- Fünf E-Books von Freitag bis Freitag zum Sonderpreis

29 Jan

Pressemeldung der Firma EDITION digital Pekrul & Sohn GbR
5 preisgesenkte E-Books


Dieser Newsletter wirbelt gewissermaßen durch die Weltgeschichte! Gleich im zweiten der fünf aktuellen Angebote, die wie immer eine Woche lang zum Sonderpreis im E-Book-Shop www.edition-digital.de (Freitag, 29.01. 21 – Freitag, 05.02. 21) zu haben sind, wird an den inzwischen auch schon wieder bald ein halbes Jahrhundert zurückliegenden Pinochet-Putsch im Chille des sozialistischen Präsidenten Dr. Salvador Allende erinnert. Jan Flieger gelingt das auf ebenso spannende wie emotionale Weise mit seinem in erster Linie für jüngere Leser gedachten Buch „Die Stunde des Kondors“. Und plötzlich sind die damaligen Geschehnisse einschließlich der sehr unterschiedlichen Reaktionen der damaligen beiden deutschen Staaten wieder sehr lebendig …

Mit einem der größten Geheimnisse des afrikanischen Kontinents und seiner Lösung befasst sich der Held in „Geheimnisvoller Strom“ von Rudi Czerwenka, damals übrigens noch unter einem Pseudonym veröffentlicht.

Was herauskommt, wenn ein Musikfreak einen Nichtkrimi schreibt, das kann man in „Der Ruf des toten Pfarrers“ von Joachim Behl nachlesen.

Ein Buch beginnt „Wie im Film“. Und man kann die Eingangsszene tatsächlich wie im Kino oder Fernsehen deutlich vor Augen sehen. Die Rede ist von dem Debüt-Roman „Eine Stunde Sanduhr“ von Peter Ahnefeld. Und damit sind wir wieder beim aktuellen Beitrag der Rubrik Fridays for Future angelangt. Jede Woche wird an dieser Stelle jeweils ein Buch vorgestellt, das im weitesten Sinne mit den Themen Klima, Umwelt und Frieden zu tun hat – also mit den ganz großen Themen der Erde und dieser Zeit. Und da hat die Literatur schon immer ein gewichtiges Wort mitzureden und heute erst recht. Und ab dieser Zeile kann die Newsletter-Redaktion eigentlich ohne Schwierigkeiten den Text der vorigen Ausgabe wiederholen – auch wenn inzwischen der Präsident gewechselt hat: Wir alle haben wohl ziemlich aufmerksam, ausführlich und mit höchst unterschiedlichen Gefühlen die jüngsten Vorgänge im Land der angeblich unbegrenzten Möglichkeiten – diese Bezeichnung ist übrigens eine deutsche Erfindung – erlebt und erfahren müssen, dass dieses Land manchmal auch das Land der unbegrenzten Unmöglichkeiten heißen könnte. Um dennoch noch ein bisschen besser zu verstehen, was da gerade passiert und wie es so passieren konnte, da hilft manchmal auch ein Blick in die Geschichte jenes Landes, zum Beispiel zurück in die Sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts. Die USA im Rückspiegel. Wie war es eigentlich damals?

Erstmals 1968 veröffentlichte Walter Kaufmann in damaligen VEB Hinstorff Verlag Rostock „Gerücht vom Ende der Welt“ in der autorisierten Übersetzung aus dem Englischen von Wilhelm Vietinghoff: Schüsse in Harlem und Rauch in Washington. Im unteren Manhattan steht ein Mann auf dem Fenstersims und springt in den Tod. Der Ton einer Violine erstickt im Neon-Dschungel des Times Square. Johann Sebastian Bach um Mitternacht aus einem Schuhgeschäft. Ein Feuer in Ithaca, ein Schuppen, in dem Farmarbeiter hausen, brennt nieder: Wer ist der Mörder und wer der Mörder von Andrew Mc Daniel und Charles E. Tate, die in Vietnam blieben? Verschwörung oder Untat eines Einzelgängers, dass der Pfarrer Martin Luther King sterben musste? Joe Mulloy, fünf Jahre Gefängnis, was hat er getan? Charles B. Crankshaw will sein Frühstück im Garten haben, weil er einen farbigen Gast erwartet. Menschenjagd in Georgia: Der Mann, der die Fotos in der Tasche hat, kann entkommen, aber am Ende ist das Schweigen der Leichenhalle. Das Schicksal der Marie Lou und Suzie Anne im Negergetto von Chicago ist ungewiss, doch ihre Mutter ist eine nordamerikanische Carolina Maria de Jesus. Auf dem Pflaster von Greenwich Village welkt die Blume des Träumers, und in der letzten Wette des Jahres steht der Gewinn auf der Zahl 111 doch nicht für den alten Lou Roberts.

Zwanzig Vignetten aus den USA der Sechzigerjahre, Eindrücke des Autors, Kenner des Landes seit langem; sie erweisen sich als stark und erregend, sie geben Aufschluss über die krisenhaften Zustände eines großen Landes, das so reich ist an Menschen. Und hier ist die Geschichte von Lou Roberts, dem Glückspieler, der immer verliert und der sich von seinem eigenen Sohn beschimpfen lassen muss:

„Bist du’s, Tom?“

„Ja“, sagte Tom, „wer denn sonst?“

Lou Roberts, der auf seine alten Tage blind geworden war, hatte im Laufe der Jahre ein besonderes Gespür für den Unterton einer Stimme entwickelt. Er wusste schon, so sicher, als ob sein Sohn es bestätigt hätte, dass er die fünfzig Cent in den Schornstein schreiben konnte. Ein halber Dollar weg für nichts und wieder nichts, genau wie am Freitag, am Donnerstag, Mittwoch, Dienstag, Montag …

Er drehte sich zur Wand. Die Pritsche knackte, als er sich herumwälzte, und er bewegte sich mit Vorsicht: Er hatte Angst, sie könnte unter ihm zusammenbrechen und er würde sich unter den Trümmern auf dem Fußboden wiederfinden. Das Ding müsste repariert werden, besser noch, man heizte den Ofen damit und mit allem, was sonst noch im Zimmer herumstand – ein paar neue Möbel waren längst fällig, weiß Gott!

Er seufzte, zog sich den alten Mantel über den Kopf, spürte sofort, dass nun seine Füße unbedeckt waren, und zog die Knie an. Er hörte, wie sein Sohn im Schrank herumrumorte, die Flasche entkorkte und schluckte. Er zitterte vor Kälte, und seine Schultern bebten.

„Hör auf zu flennen“, sagte Tom, „ich trink dir nicht alles weg.“

Der alte Mann nahm sich mit Mühe zusammen. Er flennte nicht, er fror, weiter nichts. Der Zorn kam ihm hoch über die Gemeinheiten, die er tagaus, tagein ertragen musste. Wem hatten denn die fünfzig Cent gehört: ihm oder Tom? Und wer würde den größten Teil des Gewinns einstecken, wenn er eines Tages die richtige Nummer erwischte? Das einzige, was Tom bei ihren Wetten riskierte, war der Preis der „New York Times“, die er jeden Nachmittag vom Zeitungsstand mitbrachte.

„Wenn du die Zeitung durchhast“, murmelte Lou Roberts, „stopf sie mir in den Rücken; es ist kalt hier drinnen.“

„Wart’s ab“, sagte Tom, „ich bin noch nicht soweit.“

Den alten Mann durchfuhr es. Sein Ärger wich einer plötzlichen Erwartung, eine Hoffnung erwachte, die er schon aufgegeben hatte. Vielleicht waren seine Gebete doch noch erhört worden? Wenn nun heute, am letzten Tag des Jahres, seine Nummer gewonnen hatte? Er hatte sie aus dem Datum herausgeknobelt: 31. Dezember. Eine Drei und eine Eins – dreimal die Eins: Nummer einhundertelf! Dann hätte er dreihundert Dollar in der Tasche, das wäre ein Start fürs neue Jahr: ein anständiges Stück Fleisch und eine Flasche Dago Red und natürlich eine neue Pritsche aus dem Laden für gebrauchte Armeesachen in der Lenox Avenue, vielleicht sogar ein paar warme Decken!

„Tom“, sagte er heiser, „willst du etwa sagen, dass du die Zeitung noch nicht durchgesehen hast!“

„Hast du doch gehört“, sagte Tom.

„Nicht mal aufgeschlagen?“

„Immer mit der Ruhe!“ sagte Tom.

Der alte Mann warf den Mantel ab und setzte sich aufrecht, die bloßen Füße auf dem Boden. Er starrte zu seinem Sohn hin, als ob er ihn sehen könnte. Seine Lippen waren trocken, aber Schweißtropfen standen ihm auf dem Gesicht. Seine schwarze Haut glänzte.

„Einhundertelf“, sagte er, „das ist die Nummer, das muss sie sein, jawohl! Oder es gibt keinen Gott mehr in Harlem!“

„Da hat’s noch nie einen gegeben, du verrückter Nigger“, sagte Tom zu seinem Vater. „Also reg dich nicht auf!“

„Erst wirst du die Zahl nachgucken“, beharrte der Alte. „Okay, okay“, sagte Tom. Er zog die „New York Times“ aus der Gesäßtasche seiner Jeans und breitete sie auf dem Tisch aus. Er sah, wie sein Vater auf das Umwenden der Seiten lauschte. Es waren viele Seiten umzuwenden, bis er die fand, die er suchte: WERTPAPIER-TRANSAKTIONEN DER NEW YORKER BÖRSE!

„Noch mal“, sagte er, „wie war die Nummer, auf die du gesetzt hast?“

„Einhundertelf“, wiederholte der alte Mann. Er wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn und hielt den Atem an. Er hörte, wie sein Sohn durch die Zähne pfiff.

„Haben wir sie diesmal richtig?“ rief er, „ja, Tom?“

„Transaktionen vom einunddreißigsten Dezember“, las Tom betont deutlich. Er hatte den Finger auf der Gesamtsumme, die bei diesem Wettrummel eine Rolle spielte: Wer die letzten drei Zahlen richtig hatte, gewann. – Fünfmal in der Woche, montags bis freitags, wurde in jedem Haus in Harlem gewettet, in jedem Zimmer jedes Hauses sogar, auch bei ihnen! Wann würde sein Vater sich das endlich abgewöhnen und aufhören, das Geld so rauszuschmeißen? Vielleicht heute – wenn er es ihm erst gesagt hatte – 52 186 110 Dollar. „Eins zu wenig – eine einzige Eins!“, sagte er.

„Ist das die heilige Wahrheit?“, flüsterte der alte Mann mit zitternder Stimme.

„Jawoll!“, sagte Tom barsch. „Dein Fehler ist, du verlässt dich auf die Religion. Du bist viel zu fromm für einen armen Nigger.“

„Nein“, sagte Lou Roberts, „nein, nein, nein.“

Dann legte er sich langsam wieder hin und zog den Mantel über den Kopf.“ Und damit zu den ausführlicheren Vorstellungen der anderen vier Sonderangebote dieses Newsletters.

Als Band 286 der Erzählerreihe des Militärverlags der DDR Berlin erschien erstmals 1985 „Die Stunde des Kondors“ von Jan Flieger: Wir sind im Chile nach dem Putsch von General Pinochet 1973. Ein Mann verbirgt sich vor den Soldaten, die nach ihm suchen. Der Mann ist blind. Er hat sein Augenlicht unter der Folter des Militärs verloren. Dichter und dichter kommen die Soldaten. Der Mann hat Angst, große Angst. Werden die Soldaten Sardo in seinem Versteck aufspüren und wieder verhaften? Die Gefühle des Mannes schwanken zwischen Furcht und Zuversicht, zwischen Angst und – so unwahrscheinlich es unter diesen Umständen auch klingen mag – einer großen Ruhe:

„1. Kapitel

Als der Blinde die Trillerpfeifen hörte und dann die Kommandorufe, wusste er, dass eine Razzia begann wie so oft in Santiago. Im ersten Augenblick des Begreifens hatte ihn die Angst gepackt, aber sie war dann der Ruhe gewichen, die nur einer kannte, der immer mit der Gefahr leben musste. Und der Blinde musste mit ihr leben, seitdem er aus dem Gefängnis geflohen war, geflohen bei einer Verlegung. In der ersten Zeit, die der Flucht folgte, hatte ihn die Angst oft gepackt, die Angst vor der Folter, der erneuten Folter. Er wusste: Die Geheimpolizei wollte die Namen seiner Helfer erfahren, und sie würde jedes, aber auch jedes Mittel anwenden. Einige ihrer Foltermethoden kannte er. Sie hatten zu seiner Erblindung geführt. Wie viel hält der Mensch aus, ohne dass er zerbricht? dachte er immer wieder in seinem Versteck. Wie viel? Kommt ein Punkt, wo man sich aufgibt, weil man die Folter nicht mehr ertragen kann? Wo man schwach wird? Würde er eine erneute Folter überstehen?

Sie beginnen im ersten und im letzten Haus dieser Straße, dachte der Blinde, der Sardo hieß, und sie durchsuchen jeden Raum. Sie sind genau, diese Offiziere, und sie kennen die Möglichkeiten von Verstecken. Der Raum, in dem er saß, war so klein, dass er nur zwei Schritte laufen konnte, wenn er sich von seinem Stuhl erhob. Es war eine Abstellkammer, die, geschickt vermauert, ein ausgezeichnetes Versteck ergab – für Flugblätter, illegale Zeitungen und für einen Flüchtling. Aber kein Versteck war so sicher, dass es bei einer Razzia nicht entdeckt werden konnte. Sardo war froh, dass Mario und Teresita nicht da waren und so, sollte er entdeckt werden, hinabtauchen konnten in die Illegalität; denn beide, das wusste er, betraten ihre Straße immer mit der größten Vorsicht und würden die geringste Veränderung wahrnehmen, auch wenn man die Häscher nicht sah.

Aber Teresita in einem Lager? Der Blinde erschrak erneut. Die schwarzhaarige, lebenshungrige Teresita? Ahnte sie, was ihr bevorstand, würde man sie ergreifen? Die Vergewaltigungen im Gefängnis und im Lager waren noch das Geringste. Eine Frau konnte um zehn Jahre altern in einem Jahr.

Und Mario? Konnte man sich einen blinden Mario vorstellen?

Aber auch an einen blinden Sardo hatte er früher nie gedacht. Und doch ging alles weiter, musste er leben mit seiner Blindheit.

Sie werden die ersten beiden Häuser durchsucht haben, dachte Sardo, und die beiden letzten. Wie viele Atemzüge bleiben mir bis zur erneuten Verhaftung? Wie viele?

Einen Augenblick lang war es ganz still, dann hörte er das Knattern einer Maschinenpistole und Schreie. Wen haben sie? dachte er. Männer, die selbst Mario nicht kennt, weil die Arbeit in der Illegalität mit unendlicher Vorsicht geschehen musste. Man konnte von dem Kampfgefährten in einem Nebenhaus nichts wissen, sah ihn erst in dem Augenblick, da sie ihn aus dem Haus stießen, sah ihn erst in einem Wagen der Juntapolizei oder des Militärs.

Santiago ist eine Mausefalle geworden, dachte Sardo, diese Stadt, die ich einmal geliebt habe und in der ich, selbst als Blinder, noch die Straßen und Plätze finden würde, wenn mich der Strom der Passanten nicht umstieße. Als Junge habe ich einmal jeden Winkel gekannt, jeden.

Aber durch die Stadt würde er nicht mehr dürfen.

Auch diese Straße, in deren einem Haus er sich verbarg, würde er nicht mehr sehen können, nicht die grauen ein- bis zweistöckigen Häuser, nicht die Läden, Kneipen, Hotels und Pensionen, nicht die Passanten, nicht den barfüßigen Zeitungsjungen an der Ecke, der, auf einer Kiste sitzend, die Zeitungen um sich ausgebreitet hatte – ein begehrter Job für einen Jungen, der vielleicht Vollwaise war. Nur die Geräusche des Verkehrs drangen bis in Sardos Versteck, das laute Hupen, der Knall der Auspuffgase. Mit den Bussen war er oft gefahren, mit diesen breiten Kästen, die so unvorstellbar viele Fahrgäste fassten und an deren Türen noch eine dicke Traube von Menschen hing, Menschen, die oft nur mit einem Bein auf dem Trittbrett standen oder einen Fensterrahmen umklammert hielten.

Nur wenige Hundert Meter von dieser Straße entfernt aber lag das Zentrum, das hochmoderne, vielstöckige, bestehend aus Betonklötzen, die die Ministerien beherbergten, die Banken, Büros, elegante Geschäfte und Restaurants. Es waren andere Straßen als die, in denen er gelebt hatte.

Schnurgerade Straßen waren es, ohne Kehren, ohne Winkel, die von quadratischen Häuserblocks gesäumt wurden, die alle etwa eine Länge von hundertdreißig Metern zu haben schienen. Das Muster dieses Grundrisses stammte noch vom Gründer Santiagos, von Pedro de Valdivia, aus einer Zeit, da es gut war, wenn die Kugeln einer Muskete ihr Ziel in der gesamten Straße finden konnten, würde der Feind in die Stadt eindringen. Der Feind, das waren die Araukaner, die einzigen Indianer, die die Spanier nie besiegen konnten.

Wieder hörte Sardo Schüsse, und dann wurde ihm bewusst, dass die Kommandos näher kamen, immer näher.

Ich kann nur warten, dachte Sardo, darauf warten, dass sie mich entdecken. Sie müssen erst den Schrank wegschieben, der vor diesem kleinen Raum steht, und auch dann müssen sie genau hinsehen. Aber es können Männer dabei sein, die wie Spürhunde sind, die ein Versteck förmlich riechen, als besäßen sie den Instinkt von Hunden. Und sie waren nichts anderes als Hunde. Bluthunde.

Das Poltern der Stiefel dröhnte im Nachbarhaus. Mir bleiben noch Minuten, dachte Sardo. Er erhob sich und presste die Stirn an die Wand. Er hörte nun die Kommandos ganz deutlich, verstand jedes Wort. Eine heisere Stimme bellte Befehle, andere Stimmen antworteten. Jetzt waren sie im selben Stock, stießen die Türen auf und drangen in die Räume ein. Vor dem Haus würden sie mit entsichertem Karabiner stehen und jedes Fenster im Auge behalten, auf der Vorder- und auf der Rückseite der Häuser.

Eine Waffe, dachte Sardo, eine Waffe. Wenn ich nur eine Waffe hätte! Aber wen konnte er als Blinder schon treffen! Einen Soldaten vielleicht. Doch da musste er schon großes Glück haben. Und dann?

Gefährdete er nicht Teresita und Mario noch mehr? Steigerte er nicht die Wut auf sie ins Unermessliche, wenn sie verhaftet wurden? Er musste es allein tragen, sein Schicksal, allein. Aber dann war er nichts anderes als ein Kalb, das zum Schlachthaus geführt wurde. Er beneidete andere, die im Kampf gefallen waren in den Tagen des Putsches, gefallen mit der Waffe in der Hand. Im Kampf zu sterben war leichter – und wenn man ein paar Feinde mitnehmen konnte in das Dunkel, aus dem es keine Rückkehr gab.

Stiefel dröhnten auf den Stufen seines Hauses. Sardo hörte, wie sie in die Wohnung, die unter seinem Versteck lag, eindrangen, hörte ein Poltern und einen Aufschrei.

Sie sind brutal, diese Hunde, dachte Sardo. Und sie haben die Macht. Kein Gericht kann helfen. Es ist ihr Gericht, und sie können auf der Stelle töten, treffen sie auf Widerstand. Sie töten gnadenlos, seit einem Jahr, seit ihrem blutigen Putsch, immer wieder.

Die Alte unter ihm in der Wohnung weinte, stammelte wirre Worte, die die Angst aus ihr heraustrieb. Aber wovor hatte sie Angst? Ihr und auch ihrem Sohn und seiner Frau würde nichts geschehen! Sie waren Durchschnittsbürger, die sich mit jeder Staatsform abfanden, die den Kopf in den Sand steckten, um nicht zu sehen, was um sie herum geschah. Er hatte nur auf Strümpfen in der Wohnung herumgehen dürfen, damit die Alte oder ihre Schwiegertochter nicht seine Schritte hörten. Es war alles möglich in einer Zeit der Denunziationen. Jeder konnte käuflich werden, durch Angst, durch Feigheit und durch die hohen Summen, die auf gesuchten Köpfen standen. Wie hoch war die Summe, die für seinen Kopf gezahlt werden würde? Er wusste es nicht. Aber eine Anzeige, die zu seiner Verhaftung führte, lohnte sich in jedem Fall.

Sie kamen! Sie standen bereits vor der Wohnungstür! Und weil keiner hörte, öffneten sie sie mit Gewalt.

Sie waren in der Wohnung! Jetzt! Sie kamen!

Drei Soldaten mussten es sein. Er unterschied deutlich ihre Schritte, ihre Stimmen. Nun waren sie ihm ganz nahe, im Zimmer, in dem der Schrank stand.

Sardo hielt den Atem an.

Jetzt!

Da ist ein Schrank, sagte der eine und riss die Tür auf. Er wühlte in den Kleidern und zerrte, da die Sachen so dicht hingen, einen Teil der Kleidung heraus. Dann klopfte er kurz an die Rückwand.

Einen Augenblick lang hörte Sardo kein Geräusch. Sie wissen, wo sie weitersuchen müssen, dachte er. Sie verständigen sich nur mit Blicken, weil sie nicht wissen, ob ich eine Waffe trage. Und sie können auch nicht ahnen, dass ich blind bin. Sie rechnen mit einem vollwertigen Gegner.

Warum kommen sie nicht?“

Damals noch unter dem Pseudonym Rudolf Wenk veröffentlichte Rudi Czerwenka 1960 im Leipziger Prisma-Verlag Zenner und Gürchott „Geheimnisvoller Strom“: Der schwarze Erdteil hat lange Zeit Europa Rätsel aufgegeben. Eines der größten war der Niger. Wo entsprang er, wo mündete er? Mungo Park, ein junger Engländer, zog Ende des achtzehnten Jahrhunderts von Gambia aus, ihn zu suchen. Nach unsäglichen Strapazen und Überwindung großer Gefahren stand er als erster Europäer am Ufer des geheimnisvollen Stromes. Aus dem unerfahrenen Draufgänger aber war ein gereifter Forscher geworden. Das Leben selbst gab die Fabel zu diesem abenteuerlichen Roman. Hier ein Textauszug kurz nach dem Beginn des spannenden Buches:

„Am folgenden Vormittag erreichte die Brigg ihr Reiseziel. Der Handelsplatz Jonkakonda lag am Nordufer des Gambia. Schwemmsand gab den Schiffen den nötigen Ankergrund. Das Ufer war hier frei von dem undurchdringlichen Dickicht der Mangroven. Die Grenzen des Urwaldes wichen zurück. Aber das Land war durch die jährlichen Überschwemmungen versumpft. Fiebermücken schwärmten durch die feuchte Luft.

Mungo Park schaukelte auf einem Eselsrücken drei Stunden nordostwärts. Dann lag die britische Faktorei vor ihm. Ein starker Palisadenzaun sicherte Wohnhäuser und Lagerschuppen. Auf dem gerodeten Hügelland ringsum dehnten sich Felder mit Korn und Baumwolle. Neben der Faktorei lag das Negerdorf Pisania. Park ritt in den Innenhof der Faktorei. Zwei schwarze Träger folgten mit dem Gepäck. Die neugierigen Dorfbewohner waren am Tor zurückgeblieben.

Vor einem halben Jahrhundert hatten die Engländer in Pisania ihre Niederlassung gegründet. Damals hatte man geglaubt, der Gambia sei die Mündung des sagenhaften Nigerflusses. Der erst lebhafte Handel war abgeflaut. Nur wenige Schiffe befuhren noch den Gambia. Sie brachten Waffen und Munition, Branntwein und Bernstein. Dafür handelten sie Sklaven ein, Gold und Elfenbein, Häute, Wachs und Honig. Für die wenigen Händler, die geblieben waren, lohnte sich die weite Reise noch immer. Park saß in einer Stube des Blockhauses, vor dem auf schlankem Mast die britische Fahne wehte. Am Fenster stand der Gouverneur von Pisania, Doktor Laidley. Er las den Brief, den Park mitgebracht hatte.

Laidleys Alter war schwer zu bestimmen. Sicher hatte er seinen fünfzigsten Geburtstag schon hinter sich. Der Backenbart, der sein rosiges, rundes Gesicht abschloss, war schlohweiß. Die kleinen, wasserblauen Augen blitzten. Die untersetzte Gestalt war mit einer groben Hose und einem leinenen Hemd bekleidet. Die Stiefel reichten bis zu den Knien.

Doktor Laidley ließ den Brief sinken und sah seinen Gast aufmerksam an.

„Sie sind Doktor Mungo Park? Die Londoner Gesellschaft zur Erforschung Afrikas bittet mich, Ihnen bei Ihrer Expedition mit zweihundert Pfund Sterling zu helfen.“

„Mit Geld und guten Ratschlägen“, lächelte Park.

Laidley sah seinem Gegenüber ernst ins Gesicht. „Meinen guten Rat können Sie sofort haben: Kehren Sie um! Kein Weißer ist bisher bis zum Niger gekommen. Auch Ihnen wird es nicht gelingen.“

„Es ist beschlossene Sache“, erwiderte Park. „Ich habe der Gesellschaft nach gründlichem Überlegen meine Dienste angeboten und mein Wort gegeben. Und ich werde den Niger erreichen.“

Doktor Laidley sah den jungen Mann misstrauisch an. „Haben Sie Erfahrungen? Kennen Sie Afrika?“

„Ich war ein Jahr als Schiffsarzt auf Ostindienfahrt. Ich kenne Sumatra. Afrikanischen Boden habe ich heute zum ersten Mal betreten.“

„Das ist nicht viel. Und jetzt glauben Sie, allein mit Ihrem jugendlichen Schwung eine so schwierige Expedition ruhmreich zu vollenden.“ Nach einer Pause fuhr er leise fort: „Vor vier Jahren stand in diesem Zimmer ein anderer Mann, Major Houghton. Sein Name wird Ihnen bekannt sein. Er war Gouverneur in Marokko, später Kommandant eines Inselforts vor Kap Verde. Er kannte Afrika und seine Gefahren. Er wollte im Auftrag Ihrer Gesellschaft zum Niger vorstoßen. Er wollte Timbuktu finden. Ich habe ihn gewarnt. Er hörte nicht auf mich. – Er ist nicht wiedergekommen. Die Mauren haben ihn wahrscheinlich erschlagen.“

„Aber warum denn? Was hatte er den Eingeborenen getan?“

„Getan!“ Laidley reckte zornig seine kleine Gestalt.

„Nichts hat er ihnen getan.“ Eindringlich redete er auf Park ein. „Die Negerstaaten zwischen Gambia und Niger liegen ständig in Streit miteinander. Der eine gönnt dem anderen nicht die Rinderherden, die Wasserstellen. Ewig ist Krieg. Jeder Stammesfremde wird zum Sklaven gemacht oder getötet. So zerfleischen sich die Schwarzen gegenseitig. Die Mauren, die am Rande der Wüste leben, überfallen wieder die Neger. Als Mohammedaner fühlen sie sich berechtigt, Andersgläubige auszurauben und zu plündern. Gemeinsamer Feind aller Eingeborenen aber ist der weiße Mann. Sie haben böse Erfahrungen gemacht und sehen uns lieber gehen als kommen. Unser übler Ruhm ist weit ins Land gedrungen. Sie sehen in uns Räuber, Betrüger, und sie haben in den meisten Fällen dabei nicht einmal unrecht. So sieht es aus in dem Land, das Sie durchreisen wollen.“

Park stand auf, straffte seinen Körper und zog den Tuchrock glatt. „Ich bin Ihnen dankbar für Ihre Hinweise; aber ich darf mich dadurch nicht behindern lassen. Ich werde trotz aller Gefahren zum Niger reisen. Wollen Sie mir helfen?“

„Ihnen ist schwer zu helfen“, seufzte Laidley, „aber ich will tun, was ich kann. Sie sind mein Gast, solange Sie wollen.“

„Ich werde Ihr Angebot nicht lange beanspruchen. Ich will so bald wie möglich aufbrechen.“

„Sie werden sich gedulden müssen. Wir stehen kurz vor der Regenzeit. Dann ist der Urwald unbegehbar. Die Flüsse schwellen an und werden zu reißenden, breiten Strömen. Sie haben fast ein halbes Jahr Zeit.“

Die ersten Tage in der Faktorei kamen Park unendlich lang vor. Grübelnd saß er in seinem Zimmer. Seine Gedanken glitten immer wieder in die gleichen Bahnen. Die Expedition zum Niger würde schwieriger werden, als er angenommen hatte. Von England her sah die Sache einfach aus. Seine Londoner Auftraggeber hatten ihn allerdings gewarnt. Aber er war gewohnt, einmal beschlossene Pläne nicht wieder umzustoßen. Er hatte die Landkarten studiert, die Berichte über das Nigerland gelesen. Doch die Karten waren falsch und unvollständig, die Berichte erfunden. Das hatten ihm die ersten Gespräche mit Doktor Laidley bewiesen. Eines nur war Wirklichkeit: der Niger.

Und er, Mungo Park, würde diesen Fluss finden und Ruhm und Reichtum für diese Tat ernten. An diesem Gedanken berauschte er sich.

Oft dachte er an seine Kindheit. Die Schulfreunde hatten ihn verlacht und für einen Narren gehalten. Er war anders gewesen als die Mitschüler, ernst, strebsam, still. Diese Eigenschaften belohnten ihn mit frühen Erfolgen. Stufe um Stufe hatte er erstiegen, die Gehilfenzeit bei dem Wundarzt in Selkirk, das Studium in Edinburgh, die Zeit als Schiffsarzt auf Ostindienfahrt. Damals war das Angebot der Afrikanischen Gesellschaft gekommen, die Reise zum Niger, dem sagenhaften Strom. Park war einer der vielen Bewerber gewesen. Man hatte ihn ausgewählt. Und jetzt sollte er umkehren vor unbewiesenen Gefahren? Niemals! Der erste Schritt war getan. Jetzt gab es kein Zurück mehr!“

Als Eigenproduktion von EDITION digital erschien 2016 „Der Ruf des toten Pfarrers. Mit Musik durch drei Generationen deutsche Geschichte“ von Joachim Behl, über die wir vom Autor selbst schon mal Folgendes erfahren: „Der Ruf des toten Pfarrers“ ist ein Buch über 100 Jahre Geschichte der Familie Pehlke, entnommen aus fiktiven Gesprächen dreier Generationen. Die Situationen sind zwischen heiter und ernst angelegt, in denen es letztendlich auch um die letzten 100 Jahre deutsche Geschichte, insbesondere die Geschichte der DDR geht. Das Besondere ist, dass dieser Nichtkrimi von einem Musikfreak geschrieben ist, dem zu jeder Situation ein bestimmter passender Musiktitel einfällt, immerhin mehr Lieder, als das Buch Seiten hat. Die Story beginnt damit, dass ich (der Achim) seit Wochen von einem immer wiederkehrenden Nachttraum heimgesucht werde: Propst Ehlers steht vor seiner Kirche in Retschow (Mecklenburg) und bittet mich, zu sich zu kommen. Der Mann ist aber seit 20 Jahren tot. Dem Rat meiner Gabi, mich nach Retschow zu begeben, folge ich nach einigem Bedenken. Dort finde ich anfangs nur eine leere Kirche vor, in die plötzlich ein greller Lichtstrahl einfällt. Obwohl sich der Lichtstrahl als Sonnenlicht erweist, beginnt ein unglaublicher Zauber, der meinem Herzen Höchstleistungen abverlangt. Vor der Kirche treffe ich auf meine jungen Eltern, die aber schnell im Nichts verschwinden. Ein Pferdewagen fährt vorbei, dem ich folge. Der doch noch auftauchende Propst Ehlers dirigiert mich von Retschow nach Fulgenkoppel zum ehemaligen Haus meiner Großeltern. Der eigentlich kurze Weg dorthin führt über die ostpreußische Heimat meiner Mutter und ist gespickt mit wundervollen Erlebnissen, die sich in Fulgenkoppel fortsetzen. In was für Sphären ich mich bewege, ist mir gleichgültig. Ich genieße das Wunder, das am nächsten Morgen wieder endet. Kennt Ihr Albert Einsteins Gedanken über die „unfreie Willensbildung“ der Menschen? Ich bin überzeugt, dass der Mann auch ein Genie in Psychologie war, was diese kurze Familiengeschichte mit Bezug auf bekannte Persönlichkeiten der Zeit beweisen soll. Mein besonderer Gruß gilt Grevesmühlen, meiner unbedeutenden bedeutsamen Heimatstadt. Und manchmal klingt es tatsächlich ein bisschen verrückt oder auf ein wenig depressiv.“ Aber vielleicht gehört das in diesem besonderen Falle einfach dazu:

„Was ist passiert? Es begann alles am letzten Sonntag. Oder doch schon früher? Ja, früher! Es gibt Tage, an denen ich mich verloren fühle, einfach so. Ich glaube, jeder kennt diese Tage. Irgendetwas passiert, das dich in Selbstzweifel fallen lässt. „Das kommt, weil deine Seele brennt“, könnte mir „Electra“ entgegenhalten. Vielleicht?! Man darf auf alle Fälle keine Angst vor diesen „brennenden“ Tagen haben. Die habe ich auch nicht. Ich stelle mich diesen Tagen und nenne das Aufräumen in meiner Gehirnzentrale. Es bringt nichts, die Selbstzweifel negieren zu wollen. Sie werden dann immer stärker und drohen, mich zu verschlingen. Während ich innerlich lautstark mit ihnen kämpfe, werde ich nach außen immer ruhiger. In solchen Augenblicken kann mir niemand helfen. Da muss ich alleine durch, für Gabi jedes Mal eine Zumutung. Ich bin erst wieder ansprechbar, wenn mein Gehirn den Anschluss zu der Quelle gefunden hat, aus der sich positive Energie ergießt. Kennt ihr Holger Bieges Titel „Nimm mich so“? Also dieses Lied passt auf meine Eigentherapie gegen Selbstzweifel wie die Faust aufs Auge: „Bin ich down, dann lass mich sein. Ab und zu ist jeder Mensch mal ganz gern allein. Dann zieh’ ich mich mal zurück und bin ganz still, weil ich wieder zu mir selber finden will.“ Wie liebe ich diesen Titel.

Hauptgrund meiner Selbstzweifel ist meistens ein Defekt, der mein „Ich“ einfach überbewertet. OK, sich unterzubewerten, ist auch nicht gut. Man muss versuchen, irgendwie die Bewertungsmitte zu finden. Dazu überlege ich immer, wie ich die Erde zum Stehen bringe, und komme zum Ergebnis, dass mir das auch heute nicht gelingen wird. Wozu auch? Lieber versuche ich, in ihrem Rhythmus mitzuschwingen.

Vor etwa zwei Wochen packten mich wieder diese Selbstzweifel. Ich stöberte in den Heften meiner Mutter, in denen sie ihre Lebenserinnerungen festgehalten hat. Sie ist vor genau zehn Jahren 72-jährig verstorben. Ihr Tod war für mich eine der größten bewusst wahrgenommenen Zäsuren in meinem Leben. Ob das „normal“ ist für einen Sohn, der nicht mehr Kind ist, interessiert mich nicht, da für mich „normales Verhalten“ von Menschen nicht existiert. Es soll tatsächlich noch Menschen in unserem Universum geben, die sich als Normal-Maßstab aller Menschen werten. Euch Maßstäbler gilt jetzt mein besonderer Gruß. Hallo, falls euch das noch nicht aufgefallen ist: Menschen sehen nicht nur verschieden aus, sondern ticken im Gehirn auch unterschiedlich. Und das liegt einfach daran, dass ihr Gehirn durch unterschiedliche Informationen von außen und unterschiedliche Erbanlagen von innen programmiert ist. Typisch menschlich ist leider, Nichtwissen mit Falschwissen zu kompensieren. Die Erkenntnis des alten Sokrates, „Ich weiß, dass ich nicht weiß!“, galt schon immer nicht für allwissende Maßstäbler. Eine Welt voller Normalos wäre wirklich eine Katastrophe.

Aber zurück zu Mutters Lebenserinnerungen! Beim Lesen wurde mir wieder klar, dass mit ihrem Tod auch eine meiner Hauptlebensadern gekappt wurde. Es kommen immer wieder neue Lebensadern hinzu, trotzdem können sie meine Mutter nicht ersetzen. Da will ich mir auch nichts vormachen. Hört euch mal den Titel „Mütter gehn fort ohne Laut“ von „Stern Meißen“ an, gesungen von Reinhard Fißler! Der Text stammt von Kurt Demmler. Wenn das nicht ein Schrei nach Mutterliebe ist! Zu oft erkennen wir Kinder die wahre Bedeutung der Mutter für uns erst mit ihrem Verlust. Das ist dann doppelt traurig. Mir war immer bewusst, wie wichtig Mutter in meinem Leben ist. Da habe ich mir nichts vorzuwerfen. Ich hoffe, dass sie das auch immer so verstanden hat.

Mit Stern Meißen verbinde ich besondere Erinnerungen: Ich habe die Band im Sommer 1976 in Boltenhagen im Kurpark erleben dürfen, als Jungs aus meiner Abiklasse dort als Rettungsschwimmer und Ordner tätig waren. Bei einem Auftritt 2002 im Theater Güstrow war Reinhard Fißler bereits von seiner unheilbaren Krankheit gezeichnet. 2015 organisierte ich ein Konzert für Holger Biege in Bad Kleinen, wo Fißler letztmalig öffentlich sang – von einem transportablen Krankenbett aus. Ein halbes Jahr später starb er.“

Auch als Eigenproduktion der EDITION digital veröffentlichte Peter Ahnefeld bereits 2014 seinen Debüt-Roman mit dem etwas ungewöhnlichen Titel „Eine Stunde Sanduhr“: Ein Mann steht im dunklen Wald und schaut mit einem Nachtsichtgerät einem Pärchen beim Sex im Auto zu. Er kennt die Frau, hat sie oft beobachtet, ohne zu wissen, wer sie ist. Als er sich zurückzieht, ahnt er nicht, dass die beiden sich streiten und trennen werden und die Frau dort in ihrem Auto von einem Maskierten überfallen und vergewaltigt werden wird. Drei Jahre später wird er die Frau wiedertreffen.

Maria, die frühere Musterstudentin und nun niedergelassene Ärztin, hat vor sieben Jahren entgegen aller Mahnungen den Mann geheiratet, von dem sie gleich beim ersten Rendezvous schwanger geworden war. Und sie ist auch wieder schwanger geworden in der Zeit damals, in der Zeit, als sie öfter im Wald war. Sie weiß nur nicht, von wem – und sie will es auch nicht wissen, denn sie will unter allen Umständen ihre Ehe erhalten, will, dass ihre Kinder in dieser Familie glücklich sind.

Aber dies erweist sich für Maria als zunehmend schwieriger und belastet sie, sowohl mental als auch körperlich. Dann wird ihr ein Mann als sehr guter Physiotherapeut empfohlen …

Es ist die Geschichte einer jungen Frau auf der Suche nach dem richtigen Weg, für sich, ihre Kinder, ihre Familie – und es ist die Geschichte vom Preis, den man manchmal dafür zu zahlen hat. Und so beginnt diese ungewöhnliche Geschichte des Romans mit dem ungewöhnlichen Titel:

„Wie im Film

Kapitel

Wie im Film.

Rüdiger Dressel spuckte kurz aus. Der Gedanke gefiel ihm so gut, dass er ihn halblaut wiederholte: Tatsächlich, wie im Film. Ein Mann steht im dunklen Wald und wartet auf seine Geliebte.

Er ließ das Wort nachklingen, lauschte ihm hinterher. Geliebte. War das der treffende Ausdruck? Darüber hatte er, so seltsam ihm das jetzt auch erschien, noch nie nachgedacht. Was war sie denn nun eigentlich? Ob sie in einem Film seine Geliebte wäre? Wieder spuckte er aus. Unsinn. So was gab es in keinem Film, und außerdem …, es war ja auch keiner.

Kein Film. Geliebte. Nun, wenn man …

Das Scheinwerferlicht eines sich nähernden Autos riss ihn aus seinen Gedanken. Verärgert, weil ihm das Blinken hinten auf der Hauptstraße nicht aufgefallen war, schob er sich etwas weiter in das Gebüsch, obwohl die Wahrscheinlichkeit bemerkt zu werden aus seiner Sicht gegen Null tendierte.

Bemerken. Er verzog das Gesicht. Sicher, den Mond musste er berücksichtigen, allein schon wegen des Schattens. Aber ansonsten …, bei den Bäumen und dem Licht, viel zu fahl, nein, keine Gefahr, eigentlich nicht, er durfte sich nur nicht zu dumm anstellen, keinen Fehler machen. Und die Scheinwerfer …, er schaute dem Auto entgegen und schüttelte leicht den Kopf, die konnten ihn nicht streifen, an dieser Stelle nicht. Er spuckte aus. Guter Platz hier, gut gewählt.

Das Auto kam zügig näher, aber als es vorne an der Waldkante seine Geschwindigkeit nicht drosselte, war ihm klar, dass es vorbeifahren würde.

Geliebte. Erneut wunderte er sich, dass ihm diese Überlegung noch nie gekommen war. Ob sie den anderen liebte? Behutsam, um seine Kleidung nicht zu sehr in Unordnung zu bringen, griff er in die Brusttasche, holte eine Zigarettenpackung hervor und strich bedächtig mit der Fingerkuppe über die geschlossene Reihe.

Geliebte.

Ohne hinzusehen zog er eine Zigarette aus der Reihe und drehte sie zwischen den Fingern hin und her, hin und her, merkte, wie sie flacher wurde, immer flacher, wie sie zerbröselte zwischen seinen Fingern. Hin und her.

Im Film.

Bedächtig drückte er den Zigarettenstumpf in die Reihe zurück, schob die Packung an ihren Platz in der Jacke und holte aus einer der Beintaschen eine kleine metallene Schachtel hervor. Sie enthielt vier unförmige zigarettenähnliche, kurze Stumpen. Nur noch vier. Erstaunt spitzte er die Lippen, nickte. Hatte er lange nicht mehr probiert, tatsächlich, schon ewig nicht mehr. Vier. Er würde sich einteilen müssen. Sollten schließlich noch eine Weile reichen. Nur noch vier. Übertrieben sorgfältig wählte er eine aus, ging langsam in die Hocke, drehte den Körper etwas von der Straße weg und steckte sie sich an. Immer noch knieend sog er den Rauch tief in die Nase.

Ab und zu mochte er ihn, diesen Duft, diesen Geschmack, sicher, nur ab und zu, da passte er schon auf, aber er mochte ihn, doch.

Dann stand er wieder auf – das Rauchen in der hohlen Hand war ihm schon zu sehr zur Gewohnheit geworden, als dass er befürchten musste, dass die Glut von irgendwoher gesehen werden könnte.

Er rauchte nur, wenn er im Wald war. Zu Hause müsste er dazu nach hinten, in die kalte Veranda. Nein, das tat er sich schon seit drei Jahren nicht mehr an. Er war viel zu sehr Gelegenheitsraucher, um sich dieser Strapaze und dem ewigen Streit um den Qualm beständig auszusetzen. Hier draußen brauchte er niemanden fragen.

Sie würde es bestimmt auch nicht akzeptieren. Nein, kaum. Er hatte sie noch nie mit einer Zigarette gesehen, was ja eigentlich auch normal war, schließlich war sie eine Ärztin. Obwohl doch …, er wiegte leicht mit dem Kopf, man sagt sicher nicht umsonst, dass gerade unter den Ärzten am meisten geraucht wird. Er spuckte aus und überlegte, wo er diesen Spruch wohl herhatte.

Nicht akzeptieren. Na ja, der andere rauchte aber auch. Der andere. Egal, sie jedenfalls nicht, wahrscheinlich nicht. Sie. Geliebte. Seine.

Er schluckte. Schlucken half, einmal, zweimal, manchmal auch dreimal. Geliebte. Sie war die Geliebte des anderen, daran gab es nichts zu deuteln. Er merkte, dass ihm dieser Gedanke mit einem Mal nicht gefiel, überhaupt nicht gefiel. Auch darüber hatte er eigentlich noch nie nachgedacht, jedenfalls nicht so richtig. Er war nun mal da, der andere. Na und? Warum, zum Teufel, stieß er sich eigentlich ausgerechnet in diesem Moment daran? Woher kamen die Gedanken? Er spuckte aus. Was war heute bloß los?

Plötzlich hatte er das Gefühl zu frieren, obwohl er sich eingedenk der vor ihm liegenden anderthalb Stunden warm und dem Novemberwetter gemäß angezogen hatte.

Na ja, November. Bis gestern hatte es geregnet. Jeden Tag. Wenigstens heute …

Unwillkürlich begann er, auf der Stelle zu marschieren, hob abwechselnd langsam ein Bein so weit, bis das Knie sich beugte, und bewegte dazu im Takt die Arme. Ein probates Mittel, das er sich als Soldat angewöhnt hatte. Aber das Ziehen an der Zigarette passte nicht in den Rhythmus der Bewegungen. Er entschied sich für das Rauchen, zog den Kopf, so gut es ging, schützend zwischen die Schultern und blickte die Straße entlang.

Die alten, riesigen Bäume der Allee bildeten einen langen Tunnel, einen Tunnel, der immer enger wurde und sich schließlich weiter oben an der Hauptstraße in einem kleinen dunklen Kreis verlor. Die Lichter der Fahrzeuge dort hinten sahen aus wie die Lichter eines Karussells – sie tauchten in der Ferne aus einer Kurve auf, glänzten eine Weile auf der Geraden und waren einen Augenblick später im Wald verschwunden.

So langsam könnte wieder einer blinken. Er merkte, dass er ungeduldig zu werden begann. Vielleicht täuschte ihn auch sein Zeitgefühl, aber es musste schon längst über die Zeit sein. Zum wiederholten Male schob er den Ärmel der Jacke hoch, obwohl ihm klar war, dass es sinnlos sein würde. Er spuckte aus. Wie zu erwarten. Die Ziffernblattbeleuchtung funktionierte, aber das kleine Anzeigefeld war leer, grau und leer. Er hatte dies bemerkt, kaum dass er hier Stellung bezogen hatte, diesem Umstand aber keine allzu große Bedeutung beigemessen. Die beiden würden ihm schon die Uhrzeit anzeigen. Bisher waren sie immer pünktlich gewesen, der rote Kombi stets zuerst, sie in ihrem schwarzen fünf, zehn Minuten später, nie zu spät, nie später als 18 Uhr.

Sie werden es doch wohl nicht ausfallen lassen – gerade heute. Er konnte die plötzlich aufkommende Enttäuschung förmlich schmecken. Und wenn doch? Wenn sie nun feiern sind, beide? Oder nur einer? Tag der Narren. Irgendwo hatte er es gelesen. Narrentag. Mit Maske bitte. Er lachte, lautlos, einmal, noch einmal, schob den Rollkragen etwas höher. Mit Maske. Ein bisschen Spaß muss sein. Eben. Er spuckte aus. Spaß schon, aber feiern? Hastig machte er ein paar Züge. Feiern. Quatsch. Wer feiert denn hier, in dieser Gegend? An einem Mittwoch. Fasching mitten in der Woche, egal, ob 11.11. oder nicht. Hör auf, dir solchen Unsinn einzureden.

Er überschlug die vergangenen Wochen. Das fünfte Mal war es nun, dass er hier wartete, das fünfte Mal, seitdem die beiden den Platz gewechselt hatten. Und nie hatte es ein Problem gegeben, nie, sie hatten sich strikt an immer dieselbe Ankunfts- und Abfahrtszeit gehalten. Er biss sich auf die Oberlippe und überdachte seinen Zeitplan, obwohl es daran kaum etwas zu überdenken gab. Sein Zeitpuffer war knapp, äußerst knapp. Er hatte es sonst schon meist nur geradeso geschafft, manchmal auf die letzte Minute – es durfte nichts dazwischenkommen. Nein, durfte nicht. Er musste wissen, wie spät es war, unbedingt.

Zum ersten Mal bereute er sein Prinzip, das Handy nicht mit in das Revier zu nehmen. Ein Prinzip, das er vor Monaten zu Hause durchgedrückt hatte und welches er bis zum heutigen Tag für völlig plausibel hielt. Für völlig. Und so nach und nach schien es sich seine Frau endlich auch ganz abzugewöhnen, ihn an das Handy zu erinnern. Endlich. Wurde auch Zeit.

Er drückte mit der Fußspitze die Kippe in den Boden, spuckte aus. Ja, wurde es. Zu oft hatte es Streit gegeben, Streit, wenn sie sich in solche aus seiner Sicht nur ihn betreffenden Angelegenheiten einmischte, Streit, der eigentlich keiner sein konnte und der doch einer war, der scheinbar aus dem Nichts erwuchs und dann urplötzlich auswucherte in ein Hauen und Stechen und an dessen Ende nicht selten Beleidigungen und Türenknallen stand. Immer und immer wieder.

Er schloss unwillkürlich die Augen, als er daran dachte. Sie hatte es nicht verstehen wollen, jedes Mal die gleiche Leier: Nimm doch das Handy mit. Wenn dir was passiert.“

Wie man sieht kommen heutzutage weder Film und Fernsehen noch die Literatur ohne moderne Technik aus – selbst Daniel Defoe würde seinen Robinson wohl mit einem Handy oder mobile, wie es korrekt auf Englisch heißt, ausstatten. Im letzten der heutigen fünf Sonderangebote allerdings erleben wir das genaue Gegenteil – eine Story mit Handyverzicht. Dennoch sehr spannend und einen Lektüreempfehlung wert.

Gleiches gilt auch für die anderen vier Lektüreempfehlungen dieses – man glaubt es kaum – schon wieder letzten Januar-Newsletters des neuen Jahres, das gar nicht mehr so neu und am heutigen Erscheinungstage auch schon wieder 29 Tage alt ist.

Also, legen Sie Ihr Handy weg, machen Sie es sich auf Ihrem Lieblingsplatz bequem und dann viel Vergnügen beim Lesen und Wirbeln durch die Weltgeschichte, bleiben Sie in diesen schwierigen Zeiten weiter vorsichtig, vor allem aber schön gesund und munter und bis demnächst.

Ach, eine Frage vielleicht doch noch: Wen hätte wohl Robinson eigentlich angerufen mit seinem Handy? Und was hätte er als erstes zu seinem Gesprächspartner gesagt? Haben Sie vielleicht eine Idee?



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